Kinder stark machen gegen Missbrauch

Kinder stark machen gegen MissbrauchLehnin

Das „Nein“, das die selbst ernannten wilden Fußballkerle durch die Flure des altehrwürdigen Gebäudes an der Goethestraße 15 am Lehniner Schulcampus brüllen, dürfte weit zu hören gewesen sein. 43 Viertklässler haben am Donnerstag das Präventionsprojekt „Ziggy zeigt Zähne“ gegen sexuelle Gewalt absolviert.

Es ist ein jährliches Angebot von Pro Familia, das Kinder stark machen soll, deutlich Nein zu sagen, wenn ihnen jemand zu nahe kommt. Mit Jugendkoordinatorin Sabine Strich singen die Jungen und Mädchen zum Schluss: „Ob ich Küsse haben möchte oder keine, entscheide ich alleine.“

 

Im vorigen Jahr gab es im Landkreis Potsdam-Mittelmark elf aktenkundige Fälle von sexueller Gewalt an Kindern. Das sagt Jugendamtsleiter Bodo Rudolph. Er spricht von einer „mit Sicherheit großen Dunkelziffer“ solcher Straftaten – „und die Spanne ist breit“. Unter sexuelle Gewalt fällt ebenso, Kindern pornografische Bilder zu zeigen wie die schweren Verbrechen des körperlichen Missbrauchs und der Vergewaltigung eines Kindes.

Es geht nicht nur um den bösen Fremden

Bei „Ziggy zeigt Zähne“ geht es nicht jedoch nur um den bösen Fremden oder übergriffige Nachbarn, die Kinder am Bauch küssen oder sie immerzu auskitzeln möchten. Die Jungen und Mädchen dürfen auch schmusewütige Großmütter oder Tanten abwehren. Und so manche Mutter muss sich an den Spruch gewöhnen: „Mama, ich mag nicht mehr diese Knuddelei, ich bin nicht mehr dein Kleiner.“ Auch das auszusprechen ermutigt Sabine Strich die Neunjährigen.

Der Unterrichtsstoff an diesem Tag ist bitterernst, auch wenn die Kinder etwas kichernd in die Rollen schlüpfen bei einem improvisierten Theaterstück. Kinder haben wie alle Menschen ein Recht auf respektvollen Umgang und auf Schutz. So sagt es Pro Familia.

Gute und schlechte Geheimnisse

Fünf Stationen gilt es zu absolvieren an diesem Vormittag: Die Kinder lernen dabei auch, dass es gute und schlechte Geheimnisse gibt. Die guten, dass sind etwa die Weihnachtsgeschenke, die versteckt im Schrank liegen. Die schlechten sind jene, die Missbrauchsopfer einschüchtern sollen: „Wenn du das jemandem erzählst, passiert etwas ganz Schlimmes.“

„Wichtig ist erst einmal, weg von diesen Menschen zu kommen“, sagt Sabine Strich. Vor ihr sitzt mittlerweile die Gruppe „Powergirls“. „Wenn ihr seht, dass eine Freundin in Bedrängnis gerät, ist es wichtig, dass ihr Hilfe für dieses Mädel holt von Erwachsenen.“ Den Rat, den Übeltäter zu siezen, gibt eine der Schülerinnen. „Wenn ein Erwachsener einen festhält, ist es wichtig, ihn zu siezen, sonst denken die anderen, das sei der große Bruder.“

So lautet denn auch der Satz in solchen brenzligen Situationen: Lassen Sie mich los! Er lässt Umstehende deutlicher auf die Situation aufmerksam werden. „Es ist nötig, sich laut zu wehren“, sagt Sabine Strich. „Blickkontakt mit anderen zu suchen und die Menschen direkt anzusprechen: ,Hey, du mit dem rosa Pullover, hilf mir!’“

Das kindliche Selbstbewusstsein stärken

Primarstufenleiterin Dörte Fandrey hält „Ziggy zeigt Zähne“ für ein immens wichtiges Projekt, das bereits seit vielen Jahren für die Lehniner Grundschulkinder angeboten wird. „Das Selbstbewusstsein der Kinder wird gestärkt. Die Altersstufe der Viertklässler steht vor der Pubertät. Wichtig ist, dass mit ihnen ernsthaft gesprochen wird über solche Themen. Dass ihre Empfindungen ernst genommen werden. Es darf kein Tabu sein.“

Dass das gelingt, liegt auch an der Mitwirkung der Lehniner Mitarbeiter der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Förderung Brandenburger Kinder und Jugendlicher (GFB) mit Schulsozialarbeiterin Stefanie Bräunig, Sandra Geisler und Kerstin Krämer vom Eltern-Kind-Zentrum und ihrer Kollegin Sabine Strich. Ein Elternabend und eine Lehrerfortbildung gehören ebenso zum Ziggy-Projekt.

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